Trauerfeier-Magazin. Gedanken und Ideen zu freien Trauer- und Abschiedsfeiern.

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An dieser Stelle teilen wir Gedanken zu den Themen Sterben, Tod, Abschied und Trauer. Und auch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen aus Trauerfeiern, Beerdigungen und Abschiedszeremonien.

Was mich tröstet

Für Trauer gibt es kein Rezept. Nur deinen ganz eigenen, persönlichen Weg. Mal ist sie ganz laut und heftig, dann wieder ganz still und im Hintergrund. Mir hilft das Bild des Meeres. Die Wellen kommen und die Wellen gehen. Genauso empfinde ich meine Trauer und daran klammere ich mich, wenn ich in meinen Tränen zu ertrinken drohe. Und mich tröstet die Textzeile von Hermann Hesse: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."

Doch wie kann im Tod, im Verlust von einem geliebten Menschen ein Anfang sein? Und dann noch einer mit Zauber? Wenn ich jemanden verliere, ist das doch das Ende? 

Ja, es ist das Ende von dem Leben, das wir kennen. Alt Vertrautes bricht einfach weg. Vielleicht stirbt sogar die ganze Zukunft mit. Es entsteht eine Lücke und Leere, die nichts und niemand füllen wird. Und doch ist ein Verlust gleichzeitig ein Anfang von etwas Neuem. Vielleicht die Chance, sich mehr mit seinem Gefühl zu verbinden. Ganz im Hier und Jetzt zu sein. Die Trauer kommen und gehen lassen. Darauf zu vertrauen, dass wir in ein neues Leben finden ohne diesen geliebten Menschen. So erzähle ich, was mich tröstet und wie ich ganz bewusst Erinnerungen in mein Leben einbaue.

Ich besuche die Orte, die uns gemeinsam verbinden. Durch den Verlust lasse ich alte, längst vergessene Traditionen wieder aufleben. So besuche ich den Frutigmärit, wo mein Wurzeln sind. Und immer im Januar geht’s in die Belle Epoque in Kandersteg. Vielleicht hilft ein Kerzenlicht oder ein Tee? Jeder Pilz erinnert mich an mein Grosi. Vor meiner Terrasse steht ein Baum voller Vogelhäuschen, weil sie das Zwitschern so geliebt hat. Und nun telefoniere ich mit lieben Menschen, wie sie es so oft mit mir gemacht hat. Ich benutze das Geschirr von Nanny. Die Uhr von Ätti tickt in meiner Küche weiter. Ich trage Armandos Stulpen und erinnere mich an das warme Gefühl, das er uns geschenkt hat. Und ich sehe, wie in meinem Gottibueb sein Vater weiterlebt.

Und wenn mich gar nichts mehr tröstet und ich einfach traurig bin, dann gebe ich der Trauer Raum. Ich vertraue auf den Zauber des Anfangs und finde Kraft im Gedicht “Stufen”, das mir mein Grosi vor 31 Jahren zur Konfirmation geschenkt hat.

 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, 
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns, wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Gedicht von Hermann Hesse)


Manuela Rieder, 
im Januar 2024

Gelegenheit stellvertretend Danke zu sagen

Eine Abschiedsfeier ist die Gelegenheit stellvertretend Danke zu sagen. Drei Töchter erzählen mir im Vorbereitungsgespräch aus dem Leben ihres Vaters, der nach einem langen Leben mit 96 im Altersheim gestorben ist. Er hatte seine Prinzipien und war eher streng, doch die Frauen erzählen aus der Kindheit und erinnern sich gerne an die Spaziergänge und wie ihr Vater alles reparierte, oder wie er in der Dorfmusik Flügelhorn spielte. Sie waren stolz auf ihn, wenn er mit der Musik durchs Dorf marschierte.

Nach einem Unfall pflegten sie ihn zu Hause. Jeden Tag war eine der Töchter verantwortlich. Sie kochten seine Lieblingsspeisen, wuschen seine Wäsche und putzten die Wohnung. Einige Wochen vor seinem Tod, war die Pflege zu aufwendig und er musste ins Altersheim. Für die Töchter war dies eine sehr schwere Entscheidung. Es fühlte sich an, als liessen sie ihn im Stich. Er fand das Essen dort nicht gut und vieles war einfach nicht wie zu Hause. Er mochten gar nicht mehr leben.

An der Trauerfeier im kleinen Kreis, erzählte ich einiges aus seinem Leben. Ein Bekannter des Verstorbenen spielte zwei Lieder mit der Trompete.
In meiner Rede erwähnte ich die grossartige Leistung der Töchter, die sie über all die Jahre für ihren Vater erbracht hatten, damit er zu Hause in seiner gewohnten Umgebung leben konnte. Neben den Tränen, die ich dabei sah, erreichten mich auch dankbare und erfreute Blicke der Zuhörenden.

Stellvertretend sage ich an der Abschiedsrede Danke. Dem Verstorbenen, für das was durch ihn entstanden ist und für die guten Erinnerungen, die bleiben. Den Angehörigen, für das was sie geleistet haben damit es ihrem Vater an nichts fehlt.

Rita Scheurer, Trauerrednerin

 

Bild: Rudy and Peter Skitterians

Eine freie Trauerfeier gestalten

Wie gestalte ich für einen Menschen, den ich gar nicht gekannt habe, eine Trauerfeier? – Eine Annäherung.

Am besten ist es, wenn ich die Wohnumgebung des Menschen, der verstorben ist,  sehen darf. Da kann ich mit fast all meinen Sinnen wahrnehmen. Ich sehe Bilder, die auch die Person betrachtet hat. Schweife mit meinem Blick aus dem Fenster. Was begegnet mir da? Welcher Duft steigt mir in die Nase? Die Duft-Erinnerung in mir wird dadurch angeregt und baut vielleicht schon eine Brücke zu der verstorbenen Person. Streiche ich über den Lieblingssessel, nimmt mein Tastsinn Eindrücke auf. Hat er darin der Verstorbene seine Lieblingsmusik gehört oder -sendungen gekuckt? Gibt es Texte, Literatur, die herumliegen?

Und dann werden mir im besten Fall von ein, zwei, drei Menschen, die der Verstorbenen Nahe waren, Geschichten, Anekdoten, Müsterchen erzählt. Einerseits lausche ich den Worten, andererseits bin ich offen für die Feinheiten dahinter, die Stimmung, die Atmosphäre. Meine Intuition gibt mir oft noch Fragen ein, damit die Erzählenden noch mehr Raum und Tiefe bekommen. Und ich noch tiefer in das Leben eines Menschen, den ich gar nie gesehen habe, blicken darf. Sehr intime Momente. Viel Achtsamkeit ist gefragt. Welche Frage wäre zu viel? Was will nicht gesagt werden? 

Und das Vorgespräch für die Abschiedsfeier ist ein Stück Trauerbegleitung.  Wir tauchen gemeinsam in einen See der Gefühle. Ich bin diejenige, die am Ufer sitzt und von dort aus zuschaut, den Rahmen und Halt gibt. Ich lasse Raum, um Tränen fliessen zu lassen. Ich begleite die Wut und Unbeantwortbares im Auftauchen und Wiederuntergehen. Ich biete dem Unaussprechlichen Stille an. Lache mit, wenn es stimmig ist. 

Und langsam ordnet sich in mir ein Bild an von dem verstorbenen Menschen. Ideen tauchen auf, die ich anbieten kann, um der Trauerfeier einen würdigen Rahmen zu geben. Vielleicht sind auch schon Ideen vorhanden und gewünscht. Dies wird zusammen geflochten. Die Feier nimmt Gestalt an. Zuhause dann nehme ich mir die nötige Zeit, um die Rede zu schreiben. Dabei knüpfe ich an das Wahrgenommene an. Und versuche mich irgendwie mit der verstorbenen Person zu verbinden. So vertraue ich, dass die Worte, die ich wähle die „Richtigen“ sein werden. Worte, die das Leben der Person widerspiegeln und die Hinterbliebenen die Person darin wieder erkennen. Grösste Anerkennung meiner Arbeit ist, wenn ich nach der Trauerfeier die Bemerkung höre, dass ich die Person sicher gekannt habe. 

Und bei der Abschiedsfeier selber trete ich in den Hintergrund. Es geht in keiner Sekunde um mich. Ich bin Übermittlerin/Stellvertreterin. Und doch bin ich ja in Aktion, weil ich die Leit-Person bin. Ein Widerspruch? Nein, ein  Anspruch, den ich anstrebe, wenn ich eine achtsame Trauerrednerin sein will.

 

Bettina Heiniger